Das Thema seelische Gesundheit im Alter stellt Menschen vor eine doppelte Herausforderung: zum einen durch die körperlichen Veränderungen und Beeinträchtigungen, die meist im Zuge des Alterns auftreten, zum anderen können diese zu bereits bestehenden psychischen Erkrankungen hinzu kommen. Außerdem ist es möglich, dass altersbedingte Erkrankungen, wie zum Beispiel Demenz, mit der Symptomatik einer psychischen Erkrankung einhergehen. In allen Fällen ist es wichtig,Unterstützung zu finden, die sowohl die körperlichen als auch die psychischen Bedürfnisse umfassend berücksichtigt. Aktuell gibt es jedoch nur vereinzelt Einrichtungen, die den multiplen Anforderungen an Pflege und Betreuung älterer Menschen mit psychischen Erkrankungen gerecht werden. Mit Unterstützungsangeboten an verschiedenen Standorten sorgen
Einrichtungen der AWO Oberbayern dafür, diese Versorgungslücke zu schließen.
Betreutes Wohnen 60+ in Burghausen
Die Sozialtherapeutische Einrichtung in Burghausen realisierte im Jahr 2012 als erste Einrichtung in ganz Oberbayern in Kooperation mit dem Seniorenzentrum vor Ort das Pilotprojekt 60+ für pflegebedürftige Senior*innen mit psychischen Erkrankungen. Das Projekt ist mittlerweile in die Regelfinanzierung übergegangen und besteht aus zwei Modulen: einem ambulanten betreuten Wohnen (24 Plätze) und einer Tagesstätte. „Ziel ist es, dem Alltag der Senior*innen wieder eine klare Struktur zu geben, sodass sie sich selbständig zurechtfinden und vor allem ein selbstbestimmtes Leben führen können“, sagt Anita Frank, Leiterin der Sozialtherapeutischen Einrichtung in Burghausen. So können sie ihr Leben in einer eigenen Wohnung langfristig selbstbestimmt und mit hoher Lebensqualität führen, um verfrühte Aufnahmen in stationäre Einrichtungen zu vermeiden. Insbesondere ältere Menschen mit Depressionen, Bipolaren Störungen oder Psychosen finden hier Unterstützung.
Frühe Unterstützung, um stationäre Aufenthalte zu vermeiden
„Damit schließen wir eine Lücke in der Versorgung älterer Menschen mit psychischer Erkrankung, die bisher dazu geführt hat, dass die Betroffenen nach einem Klinikaufenthalt, dem Tod einer nahestehenden Bezugsperson, nach einer Krise oder einfach aufgrund ihres Alters in die stationäre Pflegeeinrichtung vermittelt werden“, sagt Anita Frank. Dazu werden verschiedene Bausteine eng miteinander verzahnt:
Über tagesstrukturierende Maßnahmen und ambulante Betreuungsleistungen wird in Burghausen Unterstützung gewährleistet. Pflegerische Leistungen werden bei Bedarf ambulant und zielgerichtet organisiert und koordiniert. Durch die örtliche Verbindung des Projektes zu dem Seniorenzentrum ist es möglich, je nach Bedarf, schnell Leistungen aus dem pflegerischen Bereich zu organisieren. Das Ambulant Betreute Wohnen 60+ wird auch an weiteren Standorten in Dießen, Freilassing, Laufen und Moosburg angeboten.
Wohngruppe für pflegebedürftige psychisch erkrankte Menschen in Waldkraiburg
Auch in Waldkraiburg finden ältere Menschen mit psychischen Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit ein umfassendes Betreuungsangebot. Die auf diese Personengruppe zugeschnittene Wohngruppe ist Teil der dortigen Sozialtherapeutischen Einrichtung. Personell und strukturell ist die Wohngruppe an die Sozialtherapeutische Einrichtung des Bezirksverbands Oberbayern in Waldkraiburg angeschlossen. Baulich befinden sich die beiden Trakte der Wohngruppe im angrenzenden Seniorenzentrum. Sie verfügen jeweils über eine Küche, Aufenthaltsräume sowie Beschäftigungs- und Gruppenräume. Die Klient*innen wohnen in barrierefreien Einzelzimmern mit eigenem Bad.
Viele Nachfragen, wenig Plätze
„Wir haben eine hohe Nachfrage nach Plätzen, denn Angebote wie unseres gibt es kaum“, berichtet Stefan Wilhelm, Leiter der Sozialtherapeutischen Einrichtung in Waldkraiburg. Im Monat erhält er bis zu drei Anfragen. Insgesamt stehen 22 Plätze zur Verfügung – die Warteliste füllt sich dementsprechend stetig.
Voraussetzung für die Aufnahme ist – neben der Verfügbarkeit seitens der Einrichtung – eine psychiatrische Diagnose und ein attestierter Pflegegrad 2 oder 3. Es muss ein gewisses Maß an Mobilität vorhanden sein und es darf kein Suchtverhalten vorliegen. Außerdem wird darauf geachtet, dass die Persönlichkeiten der Bewohner*innen (gut) miteinander kompatibel sind.
Multiprofessionelle Versorgung
Um die Bewohner*innen und ihre unterschiedlichen psychischen und körperlichen Bedürfnisse kümmert sich ein multiprofessionelles Team bestehend aus Pflegefachkräften, Sozialpädagogischen Fachkräften, Arbeits- und Beschäftigungstherapeut*innen, Heilerziehungspfleger*innen sowie hauswirtschaftlichen Servicekräften. Im Unterschied zu klassischen Seniorenzentren, in denen stationär meist feste Zeitpläne etabliert sind und Halt geben, wird versucht, den Bewohner*innen eine möglichst freie Taktung ihres Tagesablaufs zu ermöglichen. „Wir haben einen größeren zeitlichen Spielraum für unsere Klient*innen und bieten neben der individuellen Pflege sinnorientierte Angebote, den Tag zu gestalten und regelmäßige Gespräche mit der pädagogischen Fachkraft“, sagt Stefan Wilhelm.
Den Bewohner*innen stehen vielfältige Angebote zur Verfügung: von tagesstrukturierenden Maßnahmen über Freizeitaktivitäten, Soziale Betreuung und Pflegerische Versorgung. So können sich die Klient*innen beispielsweise handwerklich und künstlerisch betätigen, an der Einkaufs- oder Zeitungsgruppe teilnehmen, gemeinsam musizieren oder kochen. Neben den regelmäßigen Ausflügen gibt es einmal im Jahr eine Ferienfreizeit. Dieses Jahr geht es dabei für 15 Bewohner*innen in ein barrierefreies Haus an den Obinger See.
„Wir setzen uns dafür ein, dass unsere Bewohner*innen in einem möglichst würdevollen Umfeld so selbstbestimmt wie nur möglich leben“, sagt Stefan Wilhelm. Da kommt es vor, dass der Leiter der Einrichtung auch persönlich die Umsetzung größerer Wünsche in die Hand nimmt. Wie beispielsweise einen Tagesausflug nach Altötting mit einer nach schwerer Erkrankung genesenen Bewohnerin, um ihr den Besuch in der dortigen Wallfahrtskirche zu ermöglichen.
Die exemplarisch dargestellten Angebote der Einrichtungen in Burghausen und Waldkraiburg zeigen, wie wichtig und wirkungsvoll passgenaue, ganzheitliche Angebote für ältere Menschen mit psychischen Erkrankungen sind. Denn auch – und vor allem – im Alter ist es essenziell, den Menschen in seiner Gesamtheit zu sehen, mit all seinen*ihren körperlichen, psychischen und sozialen Bedürfnissen.
Die Einrichtungen des Bezirksverbands in Oberbayern bieten nicht nur konkrete Hilfe, sondern eröffnen auch Perspektiven für ein selbstbestimmtes Leben in Würde. Angesichts des steigenden Bedarfs und der noch immer begrenzten Verfügbarkeit solcher Angebote ist es dringend notwendig, diese Versorgungsformen weiter auszubauen und nachhaltig zu fördern.
Alexa Dinauer
Nutzen Sie das Formular für allgemeine Fragen und Anliegen an unsere Hauptverwaltung. Einrichtungsspezifische Anfragen (zu freien Plätzen o.Ä.) bitten wir Sie über die Kontakt-E-Mail-Adressen des jeweiligen Hauses zu stellen.